Interview mit Selim Varol

|

Ohne Kunst sind wir alle am Arsch.“

Magst du uns zur Einleitung kurz ein paar Sätze zu dir sagen? Wie heißt du? Wo kommst du her und was machst du?

Ich bin Selim und komme aus Düsseldorf. Ich bin als Gastgeber und als Unternehmer tätig. Aber vor allem bin ich Jäger und Sammler.

Inwieweit unterscheiden sich nach deiner Meinung Arbeiten für „da draußen“ im Vergleich zu der Arbeit für Galerien und andere Innenräume?

Ja, also es gibt nicht nur Unterschiede in den Werken, es gibt auch Unterschiede bei den Künstler*innen. Es gibt Künstler*innen, die sind Anti-Kunstmarkt, die wollen gar nicht in die Galerien in den Museen rein. Für sie gehört die Kunst auf die Straße, und die Vergänglichkeit gehört auch dazu. 

Und dann gibt es natürlich Künstler*innen, die sagen, um die Kunst „da draußen“ schaffen zu können und meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, benötige ich auch die Galerie. Das gibt dem Kunstmarkt wieder eine Rolle. 

Also es geht eigentlich um das Thema der Finanzierung der Kunst. Wer finanziert die Künstler*innen, die im öffentlichen Raum ihre Arbeit machen? Klar können sie ihren Namen nehmen, einen Tag machen und ihr Revier markieren. Das kennen wir in Düsseldorf zum Beispiel von NEU oder ONG. Das ist die reine, ursprüngliche Form des Graffiti, des „Taggens“. 

Das ist nicht das, was von der Masse als Kunst, als Street-Art gesehen wird. Die Künstler*innen, die groß und bunt ihren Namen sprühen, gehen auf „Dondi White“ zurück. Der New Yorker war der erste Künstler, der Ende der Siebziger das Style-Writing erfunden hat. 

Und dann gibt es die Leute, die Kunst auf der Straße machen, also weg von Graffiti, hin zur Street / Urban-Art, die auch andere Materialen und Techniken nutzen als die Dose.

Es gibt sehr verschiedene Modelle von Finanzierungsmodellen für Künstler*innen. Manche verkaufen Leinwände eigentlich nur, um eine Wand zu machen. Sie haben da speziell was im Blick, wo sie unbedingt malen wollen. Ein Projekt, das sich Künstler*innen dann mit dem Verkauf eines Kunstwerkes finanzieren. Ohne dass sie für diese Wand, die ja unverkäuflich ist, jemals wieder finanziell entlohnt werden. Viele Künstler*innen finanzieren per se ihr ganzes Studio durch Verkäufe von Unikaten und Kunsteditionen mit oder ohne Galerien. Andere nutzen die Werke im öffentlichen Raum nur als Werbeplattform.

Es gibt da mannigfaltige Geschichten, gerade jetzt auch im Bereich digitale Kunst. Aber für mich ist immer das Storytelling hinter der Arbeit und den Künstler*innen der Punkt, auf den es mir ankommt. Und das funktioniert meist nur mit dem haptischen Werk. Kunst auf der Straße finde ich gut, aber sie ist nun mal vergänglich. In der Sammlung funktionieren natürlich nur Sachen, die man auch kaufen, archivieren und somit auch wieder ausstellen kann. 

Aber es muss auch nicht immer die Galerie, das Museum oder die Straße sein. Mit What‘s Beef in Düsseldorf und Frankfurt habe ich für mich einen gastronomischen Ansatz gefunden, die Kunst den Menschen näher zu bringen. Das Motto hier: Street-Art meets Street-Food. 

Was motiviert dich, Kunst auszustellen und so anderen Menschen zugänglich zu machen und sie zu begeistern?

Natürlich die Geschichten dahinter zu erzählen. Ich sammle in erster Linie Geschichten. Und was bei mir dazu kommt, ist einfach, dass ich natürlich auch die Geschichte meines Lebens dadurch erzähle.

Und das Ausstellen und Kuratieren ist vor allem meine Leidenschaft, weil ich dadurch Geschichten teilen kann. Und nicht nur Geschichten zu teilen, sondern natürlich auch die der Menschen hinter dem*der Künstler*in weiterzuverbreiten. Und das ist die allererste Aufgabe. Es geht gar nicht um mich als Sammler, sondern es geht um die Künstler*innen, die man zeigt, um deren Projekte und deren Message weiterzuleiten. Und da freue ich mich immer, wenn meine Sammlung dann auch mal ans Tageslicht kommt und auch eine Bühne bekommt, auf der sie Menschen erleben können.

Kunst im urbanen Raum ist vergänglich und oftmals nur für kurze Zeit sichtbar. Inwiefern ist das reizvoll für dich?

Vergänglichkeit wird Teil des Werkes, in dem es übermalt, beklebt oder sonst wie durch Fremdeinwirkung verändert wird. Und ich finde das auch teilweise gut, denn so kann man Flächen mehrmals bespielen. Aber Papier wirkt eben auch. Gerade zum Beispiel bei einem Künstler wie JR mit seinem Inside Out Project, welches das größte Kunstprojekt der Welt geworden ist. Da war ja auch das NRW-Forum zur Eröffnung der Ausstellung komplett mit Portraits der Beteiligten eingekleistert. Der Vergänglichkeitsprozess fing schon nach einer Woche an und nach zwei Wochen war fast alles schon weg. Das ist auch schön zu sehen. Nichts ist für die Ewigkeit. Das gehört dann bei der Kunst und auch im Leben mit dazu.

Was verbindest du mit Düsseldorf?

Da gibt es natürlich ein paar Künstler*innen, die in Düsseldorf für mich eine Rolle spielen, wie „Magic“. Einer der ersten in der Graffitiriege. Außerdem Ben Mathis, L.E.T., Oliver Räke oder Klaus Klinger oder Andy und seine Hood Company, DER Graffiti Shop in Düsseldorf, der über viele Jahre einen sehr engen Kontakt zur lokalen und internationalen Szene aufgebaut hat. Die berühmt berüchtigten Zwillinge aus Brasilien – „Os Gêmeos“ haben durch ihn eine zweite Heimat in Düsseldorf gefunden. So gibt es das Strom-Häusschen am Hermannplatz, das Riesen-Mural in Oberbilk, und sie kommen dieses Jahr wieder. Sie gehören mittlerweile zum Stadtbild von Düsseldorf.

Und …ein bisschen lauter ist jetzt natürlich auch meine Sammlung, nach der Ausstellung im NRW-Forum/Kunstpalast. Das war echt wichtig und wir haben da echt was bewegt. Es ist die erfolgreichste Ausstellung unter der aktuellen Leitung, die das NRW-Forum jemals hatte. Am Ende werden es sicherlich mehr als 60.000 Besucher*innen sein. Das ist schön zu sehen. Denn auch das verbreitet die Message der Kunst und der Künstler*innen. Und es ist auch für mich gerade nicht nur in Düsseldorf so großartig, nach drei Jahren Corona-Tunnelblick so ein buntes Bouquet auszustellen, bei dem für jede*n etwas dabei ist. Es ist eben nicht nur die hochgestochene Kunst. Der kuratorische Ansatz, den wir mit Alain Bieber ausgearbeitet haben, war der, dass die Ausstellung für jeden nahbar ist. Und das ist, finde ich, wirklich das Allerwichtigste. Dass jeder einen Zugang findet. Über 30 % unter 18 Jahren. Geschätzte 20 % mit Migrationshintergrund, das gab’s noch nie in Deutschland.

In Düsseldorf gibt es auch eine sehr junge Szene. Es gibt ganz viele Neue, die dazukommen. Aber auch Namen, die schon sehr lange dabei sind. Ich könnte nicht anfangen, Namen aufzuzählen, es fehlen dann immer wieder wichtige.

Gibt es etwas Letztes, was du gerne noch loswerden möchtest?

Über das Sammeln von Spielzeug und Popkultur bin ich zur Kunst gekommen. Egal welches Medium ein*e Künstler*in benutzt, am Anfang und am Ende ist das Wichtigste: die Idee.

Wir brauchen alle die Inspiration der Künstler*innen, und ich finde, ohne Kreativität, also ohne Kunst sind wir alle am Arsch. Das ist wirklich etwas, das jede*r verstehen muss. Ohne den kreativen Ansatz in der Kunst, ohne die Umsetzung von Ideen, egal ob im Visuellen oder im Text, geht es nicht weiter mit der Menschheit. Ohne den kreativen Austausch wird auch die Wirtschaft nicht in der Lage sein, sich weiter zu entwickeln und der Ursprung jeder Weiterentwicklung ist der kreative Ansatz, ist die Kunst. 

Bei jeder Führung, die ich bisher in meiner Ausstellung gemacht habe, sage ich: „Kunst ist das Wichtigste, was wir haben.“ Und das kann man in dem Kontext vielleicht noch hinterher sagen: Ich persönlich sehe Kunst als wichtigstes Schulfach, und vielleicht sogar als das Wichtigste auf unserer Welt überhaupt. Die Kunst ist das Fundament unserer Existenz.

Danke, dass du dir die Zeit genommen hast!

Dein Instagram:
https://www.instagram.com/toykio/

Deine Website:
Mehr zu Wonderwalls Ausstellung: https://www.duesseldorf-tourismus.de/veranstaltungskalender/wonderwalls-art-toys-2bd7fd18de

Dieser Beitrag ist gefördert durch REACT-EU.

Jetzt zum Newsletter anmelden und keine Neuigkeiten mehr verpassen