„Düsseldorf hat sich wahnsinnig entwickelt“

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„Düsseldorf hat sich wahnsinnig entwickelt“

Interview mit Kurator Ralph Goertz

Seit 2009 leitet Ralph Goertz das IKS – Institut für Kunstdokumentation, das als größtes Medienarchiv der bildenden Kunst in Europa gilt.

Seine Vita liest sich atemlos. Ralph Goertz hat eine Ausbildung zum Kameramann und zum Herrenmaßschneider gemacht, hat in Bochum Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert und war sechs Jahre lang Leiter der Kammeroper NRW. Darüber hinaus hat er 93 Dokumentarfilme über Künstler*innen gedreht. Weltbekannte Größen wie Candida Höfer, John Baldessari und Tony Cragg öffneten ihm ihre Türen. Seit 2008 ist Goertz Gastkurator von Ausstellungen mit den Schwerpunkten britische, deutsche und amerikanische Fotografie ab den 1960er Jahren. Daneben unterrichtet er unter anderem als Gastdozent an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. 2022 wurde das IKS als gemeinnützige Organisation, der Goertz vorsteht, um eine eigene Fotoabteilung erweitert, die Wanderausstellungen produziert und kuratiert. Ziel ist die Förderung des Mediums Fotografie und der interkulturelle Austausch. Wir trafen Ralph Goertz in seinem Büro im NRW-Forum.

Ralph, dein Büro als Leiter des IKS, des Instituts für Kunstdokumentation, befindet sich im NRW-Forum. Was bedeutet es für dich, an diesem Ort zu arbeiten?

Für mich war die Einladung, im NRW-Forum unterzukommen, die die einstigen Leiter Werner Lippert und Petra Wenzel ausgesprochen haben, von großer Bedeutung und unglaublich wichtig. Das NRW-Forum hat sich schon immer sehr nah am Puls der Zeit bewegt, es ist ja das Vorzeigehaus für zeitgenössische Kunst im Dialog mit Design und Fotografie. Für das IKS als Institution ergab sich die Chance, im Umfeld der Kunst gesehen zu werden, dafür bin ich nach wie vor sehr dankbar. Denn zum einen bot sich mir so die Gelegenheit, die Künstler*innen, die mit ihren Ausstellungsprojekten hier vor Ort waren, filmisch zu begleiten. Und später dann auch die Möglichkeit, Fotokunst-Ausstellungen zu kuratieren.

Du kuratierst Ausstellungen britischer, deutscher und amerikanischer Fotografen. Wie bist du mit der Fotografie in Berührung gekommen?

Ich habe zunächst Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Bochum studiert und während meines Studiums beim ZDF, bei 3sat und arte als Kameramann gearbeitet. Zur Fotografie bin ich eigentlich durch Thomas Ruff gekommen. Als unbedarfter Schüler fand ich seine Porträts zunächst so unglaublich schlecht, dass meine Neugier geweckt wurde. Da musste doch noch mehr dahinterstecken! Über diese Auseinandersetzung kam ich zur Konzeptfotografie. Später wurde ich dann durch die Düsseldorfer Fotograf*innen, die sich im Umfeld der Kunstakademie bewegten, sozialisiert. Mit meiner heutigen Arbeit als Dokumentarfilmer kann ich meine beiden Vorlieben verbinden: die Fotografie und mein Interesse für Menschen.  

Was bedeutet dir die Düsseldorfer Fototradition? Gibt es für dich so etwas wie eine Neue Düsseldorfer Fotoschule? Wen schätzt du besonders?

Die Fotokunstszene in Düsseldorf ist wahnsinnig reich, so reich wie in keiner anderen Stadt in Deutschland, möchte ich mal kühn behaupten. Das ist nicht zuletzt der Kunstakademie geschuldet. Bernd und Hilla Becher, Thomas Ruff, Candida Höfer – sie alle hatten hier eine Professur. Ebenso Andreas Gursky. Er hat an der Akademie acht Jahre lang freie Kunst unterrichtet und aus seiner Klasse ist eine unglaublich starke neue Generation hervorgegangen. Eine Generation, die das Medium Fotografie ganz neu denkt, und ebendas hat Gursky angestrebt. Er wollte in seiner Kunstklasse Menschen und Charaktere und nicht bestimmte fotografische Positionen versammeln, was ihm außerordentlich gut gelungen ist. Stellvertretend für rund ein Dutzend herausragender Talente, die bei ihm studiert haben, möchte ich drei Fotografinnen nennen: Louisa Clement, Berit Schneidereit und Morgaine Schäfer. Es macht Spaß zuzusehen, wie diese Generation sich neu formuliert – losgelöst vom Becher-Erbe. Düsseldorf hat das Talent, die richtigen Impulse zu setzen, insbesondere in Bezug auf das Medium Fotografie.

Und abseits der Fotokunst? Was bedeutet dir Düsseldorf als Stadt?

Ich bin seit 1990 in Düsseldorf beruflich verortet und seither in verschiedenen Positionen tätig gewesen. In meinen Augen hat sich die Stadt wahnsinnig entwickelt. Es ist nicht nur die in einen Tunnel verlegte Rheinuferstraße, die viel bewirkt hat. Ganze Stadtteile wie Bilk und Oberbilk, aber auch die Galerienviertel haben sich zum Positiven verändert. Ich denke, das Klischee, Düsseldorf sei reine Modemetropole, hat sich überlebt. Das Profil der Stadt ist wesentlich diverser geworden, es findet viel mehr Kunst im öffentlichen Raum statt. Düsseldorf hat das, was man an anderen Weltstädten so schätzt, lange Flaniermeilen wie die Kö und die Rheinuferpromenade, es gibt Weltklassearchitektur, eine Off-Szene, jedes Viertel hat eine lebendige Kneipenkultur – für jeden Geschmack ist etwas dabei. Düsseldorf ist wirklich eine lebens- und liebenswerte Stadt geworden.

Welche Projekte stehen aktuell bei dir an?

Solche, die mit IKS Photo, der 2022 gegründeten Fotoabteilung des IKS zusammenhängen. Der Fokus der Sammlung liegt auf der europäischen Fotokunstszene. Ich möchte große Ausstellungen zusammenstellen, die um soziologisch relevante Themen kreisen und in ganz Europa touren sollen. In meinen Augen sind Fotografie und Film die stärksten Medien unserer Zeit. Die Bilder sprechen eine universelle Sprache, die grenzüberschreitend verstanden wird. „Facing Britain“ war die erste Ausstellung, die IKS Photo produziert hat – und die erste Übersichtsausstellung zur Entwicklung der britischen Dokumentarfotografie seit den 1960er Jahren. Selbst in Großbritannien gab es noch keine so intensive Auseinandersetzung mit diesem Sujet. Ich war damit nun in fünf Museen zu Gast und mittlerweile ist die Sammlung von 200 Arbeiten auf 530 Werke angewachsen. Die nächste Ausstellung ist eine reine Frauenausstellung: Ich zeige 25 Fotografinnen aus Großbritannien. Sie wird demnächst in Nordrhein-Westfalen zu sehen sein. Wo, kann ich aber noch nicht verraten.

Was denkst du über die Pläne eines Bundesinstituts für Fotografie, das ja direkt vis-à-vis des IKS im Ehrenhof entstehen soll?

Für Düsseldorf ist das Deutsche Fotoinstitut eine große Chance, sich sowohl zur deutschen Fotografie als auch zu den eigenen Künstlerinnen und Künstlern zu bekennen. Sollte der Schwerpunkt auf dem Ankauf von Nachlässen liegen, wäre es toll, wenn dort die wichtigen Positionen nicht nur gesammelt, sondern auch gezeigt würden.

Was siehst du persönlich als größte Herausforderung der nächsten Zeit?

Die Schwierigkeit beim Kuratieren von Ausstellungen liegt darin, einerseits das lokale Publikum zu bedienen und andererseits den Blick auch in die Ferne schweifen zu lassen. Beides führt zu neuen Impulsen – und das gilt an jedem Standort. Die wichtigste Arbeit für mich als Kurator besteht im Nachdenken über Kunst und Fotografie. Können die gezeigten Arbeiten die Themen der Zeit untermauern? Derzeit sind das Fragen zu Identität, Gemeinschaft, Geschlecht, aber auch Zukunftsängste und Zukunftsideen. Es gibt einen hohen Innovationswunsch und viele Menschen, die diesen Wunsch vorantreiben, auch in der Kunst. Damit muss ich mich als Kurator auseinandersetzen.

Interview von Ilona Marx und Markus Luigs (Fotos).

Dieser Beitrag ist gefördert durch REACT-EU.

Bilder: Düsseldorf Tourismus

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