Sechs Urban-Art-Akteur*innen, die die Ausstellung „Wonderwalls“ zu einem Muss machen

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Sechs Urban-Art-Akteur*innen, die die Ausstellung „Wonderwalls“ zu einem Muss machen

Von Banksy bis JR

Der Ausstellungsherbst geht direkt in die Vollen und legt los mit einer Premiere. Erstmals steht im NRW-Forum Urban Art im Mittelpunkt einer Schau. „Wonderwalls. Art & Toys“ versammelt die ganz Großen der Szene, und das wirklich Verrückte ist: Sämtliche der über 2000 gezeigten Arbeiten stammen aus der Sammlung eines Mannes, Selim Varol. Seit über 30 Jahren trägt der Düsseldorfer Unternehmer und Gastronom Urban Art und Designer Toys zusammen und besitzt heute mehr als 10.000 Werke – rekordverdächtig in Europa! Dass ihr in „Wonderwalls“ allem voran Street Art vom Feinsten zu sehen bekommt, signalisiert schon der Ausstellungstitel, und natürlich macht dieser Fokus Sinn. Schließlich hat diese Gegenkultur und der subversive Eingriff ihrer ProtagonistInnen in den öffentlichen Raum vielen anderen Spielarten der Urban Art erst die Tür geöffnet, ob es nun das Cover-Artwork oder die popkulturell inspirierte Skulptur ist. Ihr mögt Stencils, Pastings oder Vinyl Toys, möchtet euch auf Zeitreise in die frühe Hip-Hop-Ära begeben oder kommt selbst aus der Skateboard- und Graffiti-Szene? An diesen sechs Urban-Art-AkteurInnen führt in „Wonderwalls“ (k)ein Weg vorbei.  

Die Ausstellung läuft vom 30. September 2022 bis 5. Februar 2023. 

Banksy 

Ein Pseudonym, hinter dem sich ein kritischer Geist und jede Menge dunkler Humor verbirgt: Banksy ist der wohl bekannteste Unbekannte der Urban-Art-Szene – vielleicht sogar des gesamten zeitgenössischen Kunstkosmos. Er gehört zu den PionierInnen der Street Art, die mit ihren illegalen Aktionen oft hohe Risiken eingingen und deshalb bevorzugt anonym blieben. Heute sind Banksys Stencils, seine Schablonen-Graffiti, längst Teil des Kunstkanons, aber auch der Popkultur, werden weltweit bejubelt, wenn sie plötzlich irgendwo im öffentlichen Raum wie aus dem Nichts auftauchen. Auf Auktionen erzielt ein Banksy schon mal Millionen, und doch hat der Künstler dahinter nichts an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Aus seiner Konsumkritik und politischen Haltung macht er eben keinen Hehl, und fraglos ist der Mann auch immer für eine Überraschung gut. Man denke nur an „Girl with Balloon“, das sich, gerade erst bei Sotheby’s für über eine Million Euro versteigert, per im Rahmen verstecktem Schredder selbst zerstörte. Gänzlich unzerstört und im NRW-Forum unter anderem zu sehen: Banksys „Trolley Hunters“, eine archaische Jagdszene rund um drei Einkaufswagen. 

JR  

Auch er ist ein Star der Szene, und tatsächlich ist es in diesem Jahr nicht das erste Mal, dass der französische Fotograf und Street Artist JR mit seiner Kunst den Ehrenhof beehrt. Im April entrollten mehr als 100 DüsseldorferInnen hier gemeinsam ein riesiges Porträt der fünfjährigen, nach Polen geflüchteten Valeriia, die, ganz Fünfjährige, vergnügt vor sich hinhüpft – eine Solidaritätsbekundung mit der Ukraine, hinter der JR steckt. Und diese Aktion weist die Richtung: Mit seinen großformatigen Pastings gibt JR den Menschen eine Stimme. Meist handelt es sich um Nahaufnahmen von Gesichtern, die, oft überlebensgroß, ganze (Stadt-)Landschaften prägen. Fotografie und Urban Art vermischen sich auf spektakuläre Weise. „Portrait d’une génération“, so der Titel einer Serie, der ihr euch im Rahmen von „Wonderwalls“ buchstäblich annähern könnt. Hier beschäftigt sich JR mit der Jugendkriminalität in den Banlieues – einem Milieu, in dem er selbst aufgewachsen ist. Und auch ihr konntet Teil seiner Kunst werden, genauer des globalen Projekts „Inside Out“: Am 29.09., 16–19 Uhr, 30.09., 14–20 Uhr, und 1.10., 12–18 Uhr, stand JRs Foto-Truck vor dem NRW-Forum, dort konntet ihr euch ablichten lassen. Die Fotos wurden dann rund um das NRW-Forum gepastet – und ihr reiht euch ein in die über 400.000 Menschen aus 138 Ländern, die seit dem Start 2011 für „Inside Out“ porträtiert wurden. 

Martha Cooper  

Ihr interessiert euch für den Ursprung des Hip-Hop? Dann kommt ihr an Martha Cooper nicht vorbei. New York, 1980. In den Straßen der Bronx bahnt sich eine neue Subkultur den Weg: B-Boying – und etwas später auch B-Girling. Martha Cooper gilt als die Erste, die dieses auch als „Breakdance“ bekannte Phänomen mit ihrer Kamera einfängt. Und auch die mit der Hip-Hop-Kultur untrennbar verbundene Graffiti-Kunst nimmt die US-amerikanische Fotojournalistin ernst. Das Buch „Subway Art“, das sie 1984 gemeinsam mit dem Fotografen Henry Chalfant veröffentlicht, wird zum Meilenstein der Writing-Dokumentation und zum Graffiti-Standardwerk. Generationen von Sprayern haben daran ihren Stil geschult. Warum? Es liegt wohl an der authentischen Annäherung und gleichzeitigen Wertschätzung, mit der Martha Cooper den zu Beginn noch weithin kriminalisierten und als Schmiererei über einen Kamm geschorenen Graffitis begegnet. Mit ihren Fotos transportiert sie Hip-Hop als ein Lebensgefühl, das sich über die Jahrzehnte von der Gegenkultur zur größten popkulturell geprägten Kunstbewegung der Welt entwickelt hat.  

Os Gêmeos  

Sie nennen sich nicht nur so, sondern sind es auch: Die Zwillinge – auf Portugiesisch „Os Gêmeos“ – Otávio und Gustavo Pandolfo stammen aus São Paulo, und dort gestalteten sie 1987 auch ihre ersten Graffiti. Allerdings: Sie sprayten nicht, für die Dosen fehlte das Geld. Pinsel, Tapetenroller und erschwingliche Fassadenfarben wurden ihr Werkzeug – und sind es bis heute. All das wisst ihr längst? Dann kennt ihr vermutlich das farbmächtige Wandbild der Os Gêmeos auf der Oberbilker Allee. 2018 hat das Duo hier, auf der gut 200 Quadratmeter großen Seitenfassade der AWO-Jugendberatung, eines seiner surrealistisch anmutenden Murale hinterlassen – eine detailreiche Szene, in deren Zentrum ein Mann mit übergroßem gelbstichigen Gesicht und dünnen Gliedmaßen steht, beides typisch für Os Gêmeos. Längst gehören die Zwillinge zu den bekanntesten Wandmal-Künstlern weltweit. Mit ihrer Bildsprache, die Einflüsse aus dem Hip-Hop mit brasilianischer Volkskunst verschmilzt, haben sie zu ihrem ureigenen Ausdruck gefunden. Mythologie trifft auf Gegenwartskritik, Aktivismus auf Poesie – absolut sehenswert.  

Shepard Fairey  

Jede Wette, dass euch auch Shepard Fairey bekannt ist? Selbst wenn euch der Name auf Anhieb nichts sagen sollte: Sein Werk „HOPE“ ist weltweit rezipiert worden und hat sich wohl für ewig ins kollektive Gedächtnis gebrannt, handelt es sich dabei doch um das berühmte Wahlkampfplakat, das Shepard Fairey 2008 für den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama entworfen hat. Und vermutlich kennt ihr auch OBEY, die legendäre Streetwear-Marke, die der Street-Art-Künstler, Grafiker und Illustrator 2001 aus der Taufe gehoben hat. Ob aufgrund der hintersinnigen Slogans, die sich selbst als Propaganda entlarven, oder angesichts der vielfältigen Kooperationen mit Ikonen der Skate- und Pop-Kultur: OBEY ist Kult – Kult von Kultur, versteht sich, denn auch mit seiner Modemarke surft Shepard Fairey in dem anspruchsvollen Grenzgebiet zwischen (bewusstem) Konsum und Konsumverweigerung, zwischen Kunst und Pop. Dass er, der mit Illustrationen auf Skateboards begann, sich zudem als Guerilla-Marketer einen Namen gemacht hat, verwundert nicht. Das passt zu dem Anspruch, den zunehmend durch Werbung okkupierten öffentlichen Raum zurückzuerobern und ihn neu und gesellschaftskritisch zu bespielen. Mit mehr als 250 Editionen präsentiert „Wonderwalls“ eine große Auswahl an Prints des US-amerikanischen Künstlers.   

Stefan Marx 

Zwei Kontinente, eine kreative Keimzelle: Wie bei Shepard Fairey gehörten auch beim Wahlberliner Stefan Marx Skateboards zu den ersten Oberflächen, die er sich als Gestalter vornahm, und auch Entwürfe für ein Modelabel kamen später hinzu, außerdem Plattencover. So für das Hamburger Label Smallville Records. Dort steuert Marx für die Vinyl-Releases bis heute immer wieder Artworks bei. Der Künstler hat einen ganz besonderen Sinn für Humor, seine Zeichnungen und Malereien versprühen eine feine Ironie. Marx zelebriert das DIY und das Unperfekte. Das gilt auch und besonders dann, wenn er Zitate aus Songs oder Alltagsgesprächen verschriftlich und sich grafisch mit ihnen auseinandersetzt. Spannend der (vermeintliche) Kontrast zwischen der oft minimalistischen Ästhetik seiner Arbeiten und den Gegenständen, die sie teilweise zieren, wie beispielsweise eine Serie der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) oder Luxusteppiche von Jan Kath. Offenbar möchte sich der Mann nicht festlegen. Verpflichtet scheint er nur sich selbst. „I woke up on a sofa a few weeks later“, diese Worte schrieb Stefan Marx vor zwei Jahren auf eine Wand im Foyer der Kunsthalle Düsseldorf. Worauf er damit wohl anspielt?  

Titelbild: Foto: TOYGIANTS – „Kaws Family“, 2006, Courtesy Collection Selim Varol

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