„Die Ratinger Straße war der absolute Hot-Spot“

„Die Ratinger Straße war der absolute Hot-Spot”

Der Künstler und Grafiker Emil Schult hat legendäre Plattencover entworfen – etwa die Motive von „Autobahn” und „Computerwelt” von Kraftwerk. Anlässlich der Ausstellung „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ im Kunstpalast sprachen wir mit ihm über seine langjährige, besondere Beziehung zu Düsseldorf.

Herr Schult, Sie haben als Kunststudent Düsseldorf in den wilden sechziger und siebziger Jahren erlebt. Was waren damals wichtige Orte für Sie? Das Creamcheese, der Ratinger Hof?

Ich habe besondere Erinnerungen an das „Retematäng” in der Ratinger Straße. Da trafen wir uns als Studenten mit unseren Profs, zum Beispiel mit Joseph Beuys und Dieter Roth. Der lustige Name des Lokals geht wohl auf die Zeit der französischen Besatzung Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Damals bezeichnete vielleicht ein französischer Soldat die Ratinger als „Rue du matin”, als „Straße des Morgens”. Aus „Rue du matin” wurde dann die wunderbar rheinische Verballhornung „Retematäng”. Die Ratinger war also schon im 19. Jahrhundert eine spannende Meile, wo nicht nur französische Soldaten gern einkehrten.  Der „Ratinger Hof”, aber auch „Zur Uel”oder „Das goldene Einhorn” waren beziehungsweise sind die Kneipen für die Kunststudenten: die brauchten nur um die Ecke zu gehen und konnten dort essen und trinken. Beuys sah man oft im „Ohme Jupp”, da hat sich dann seine ganze Klasse versammelt und es wurde zu Altbier oder Kaffee heiß diskutiert. Und das „Creamcheese” ganz in der Nähe wurde dann von Künstlern ausgebaut, mit einer 20 Meter langen Theke, einer Spiegel-Lamellen-Wand von Heinz Mack, zwei Dutzend laufenden Fernsehern und einem Gemälde von Gerhard Richter im Vorraum – das war praktisch ein Kunstprojekt. Die Ratinger Straße war in den Sixties und Seventies der absolute Hot-Spot.

Das Creemcheese wurde nach einem Zappa-Song benannt. Und Frank Zappa soll sogar mal da gewesen sein …

Ja, genau: „Son of Suzy Creamcheese” …

Sie haben bei Dieter Roth, Gerhard Richter und Joseph Beuys studiert. Wer von den dreien hat Sie am stärksten geprägt?

Dieter Roth war mir eigentlich am nächsten. Er war Zeichner und Poet, das liebte ich an ihm. Sein Gefühl für Sprache, für Texte hat mich beeindruckt. Ich habe ja selbst rund 1000 Liedtexte in meinem Leben geschrieben, von denen einige bekannter geworden sind.

„Das Model” von Kraftwerk zum Beispiel basiert auf einem Text von Ihnen …

Richtig. Und Dieter Roth hat seine Studenten an sich herangelassen und auch sozial und wirtschaftlich unterstützt. Beuys war ein Freigeist – auch sehr offen, sehr ansprechbar – der auch viel gelacht hat. Gerhard Richter war eher schweigsam.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Düsseldorf ein Mekka für Musik, gerade elektronische Musik, wurde?

Allgemein spielten die Radiosender – das American Forces Radio und das BFBS der Briten – im Nachkriegsdeutschland eine große Rolle. Das waren starke Einflüsse, die in unseren Köpfen herumgeisterten. So entwickelten sich in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren mehrere Zentren für avantgardistische Musik in Deutschland. In Köln gab es „Can”, in Hamburg die Band „Frumpy” und in Düsseldorf natürlich „Kraftwerk”. Die besondere Situation in der Kunststadt Düsseldorf war, dass auf Ausstellungseröffnungen in Galerien oft live neue Musik gespielt wurde. Es war der Boden da für Klang-Experimente – und auch das entsprechende Publikum, das offen war. Dann gibt es ja in Düsseldorf auch die Robert-Schumann-Hochschule mit toller Tradition. Und natürlich bildeten sich auch an der Kunstakademie Gruppen, die experimentelle Musik machten. Für eine Eröffnung von Dieter Roth habe ich mit einem Freund den Boden und die Wände einer Galerie mit elektrisch verstärkten Geigen abgetastet. Das war natürlich furchtbar anzuhören. (lacht) Aber uns schwebte eine völlig neue, experimentelle Musik vor, im Zusammenspiel mit einer neuen, befreiten Kunst.

Nach Ihrem Studium haben Sie an verschiendenen Orten in der Welt gelebt. Aber in den neunziger Jahren kehrten Sie nach Düsseldorf zurück. Warum?

Ich habe einige Jahre auf den Bahamas gelebt – das ist da natürlich wunderschön und kraftspendend, aber das Leben dort ist auch anstrengend. Man befindet sich ja mitten im Meer, der Wind und das Meersalz machen vieles kaputt. Autotüren werden rostig und fallen ab, die Klingel an der Haustür ebenso. Mein Musikstudio ist mal während eines Hurricanes total geflutet worden und der Regen ging durchs Dach, auf die Synthesizer. Ich hatte irgendwann einfach Lust, wieder in Düsseldorf zu wohnen – nach dem Motto: Mal sehn, was da los ist.

Und heute wohnen Sie eine halbe Stunde entfernt vom Rhein. Was sind Ihre Lieblingsorte in Düsseldorf?

Ich komme noch gerne zu meinem alten Studio zurück, gegenüber vom Schloß Jägerhof, im Stadtteil Pempelfort. Das habe ich weitervermittelt an einen Absolventen der Akademie, den Maler Alexander Ernst Voigt. Wir haben eine kleine Galerie da und machen manchmal kleine, exquisite Ausstellungen und fördern Studenten … und meine zweite Anlaufstelle in Düsseldorf ist die Robert-Schumann-Hochschule, wo ich die Krypta ausgestaltet habe. Die kann man nach Voranmeldung besichtigen und manchmal führe ich Gruppen dort durch und spreche über die Gedanken, die mich bei ihrer Gestaltung geleitet haben. Was mich besonders gefreut hat: der Komponist Karlheinz Stockhausen hat eigens für diesen Raum eine kleine Komposition geschaffen.  

Und gerade haben Sie, als Teil des neu gegründeten Künstler Kollektivs „Transhuman Art Critics“ eine Schallplatte herausgebracht und gestaltet, dazu noch etliche animierte Grafiken. Wie kam es dazu?

Das hat sich allmählich entwickelt, erst zwischen mir und der Künstlerin Emma Nilsson, mittlerweile sind Lothar Manteuffel und Max Dax mit dabei. Ein erstes Konzert haben wir zur Veröffentlichung der Platte „Update the future” gerade in München gegeben. Weitere folgen hoffentlich bald …


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Unser Autor

Gerrit Terstiege war lange Jahre Chefredakteur der Zeitschrift „form” und gab drei Designbücher heraus. Er schreibt regelmäßig u.a. für Mint, Art, Monopol und den Rolling Stone und führte zahlreiche Interviews, etwa mit Diedrich Diederichsen, Bazon Brock, Klaus Theweleit, Richard Hamilton, Donald Fagen, Klaus Voormann und Leonard Cohen.

Fotos:
Titelbild: Stefan Schumacher
erste Galerie: Bild 1 & 2: Fotoarchiv Atelier Emil Schult, Bild 3: Stefan Schumacher
zweite Galerie: Fotoarchiv Atelier Emil Schult
Portrait: Wolfgang Armbruster

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