Mit Vinyl durch die Krise

The Sound of Düsseldorf

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Mit Vinyl durch die Krise

Zwei lokale Plattenhändler über „The Sound of Düsseldorf“

Vinyl liegt im Trend. Beim „Record Store Day“ stehen die Leute inzwischen Schlange wie sonst nur, wenn seltene Sneaker verkauft werden. Das Plattensammler-Fachmagazin „MINT“ war im November bundesweit ausverkauft – übrigens mit einer Kraftwerk-Titelstory. Plattenläden sind auch in Düsseldorf wichtige Treffpunkte für Musiker*innen, DJs und Konzertveranstalter*innen. Aber wie gehen die beiden wichtigsten Plattenhändler der Stadt mit der aktuellen Lockdown-Situation um? Und wie wichtig sind Düsseldorfer Musiker*innen für ihr Geschäft? Wir haben Marc Meyer von A&O Medien in den Schadow Arkaden und Ralf Brendgens von Hitsville in der Altstadt gefragt.

Marc und Ralf, einen Plattenladen zu führen in Zeiten von Spotify und Co. – warum ist das immer noch eine gute Idee?

Ralf: Ich habe in manchen Jahren oft gezweifelt, ob das noch so eine gute Idee ist… Die vergangenen Jahre haben dann wieder Mut gemacht. Es gibt immer noch genug Interessierte Leute, auch wenn das durch die Online-Giganten immer schwieriger wird. Ich denke, es ist auch der Bedarf nach Wühlen und ein bisschen was Vertrautem.

Marc: Es ist immer eine gute Idee, sich mit Dingen zu beschäftigen, die einem selbst etwas bedeuten. Als Geschäftsmodell taugt es nicht viel. Das hat es aber auch 2004, als A&O eröffnet wurde, nicht getan. Von daher funktioniert es irgendwie durch Hartnäckigkeit, finanzielle Selbstkasteiung, ein grandioses Mitarbeiterteam und eine tolle Stammkundschaft.

Hitsville ist ja ein Plattenladen wie aus einem Roman von Nick Hornby und der älteste der Stadt, Ihr feiert 2021 den 35. Geburtstag. A&O Medien könnte man fast als Kulturkaufhaus bezeichnen. Wieviel „High Fidelity“-Romantik steckt in Euren Läden?

Marc: „Kleines Kulturkaufhaus“ mit Bezug auf Dussmann in Berlin ist eigentlich eine ganz treffende Bezeichnung. Wir sind ja kein reiner Vinyl- bzw. Plattenladen. Bei uns gibt es auch besondere CD, DVDs, Blu-rays, Bücher und seit einigen Jahren auch ein kleines, aber feines Angebot an HiFi-Komponenten. Aber trotzdem gibt es im Alltag natürlich auch die High-Fidelity-Momente…

Ralf: Bei uns ist auch nach 35 Jahren alles so, wie es immer war. Die Einrichtung stammt zum Teil noch aus dem Hitsville-Vorgänger, dem legendären „Pure Freude“-Laden. Wir sind inzwischen fast ein Einzelhandelsmuseum der letzten Jahrzehnte. Ein bisschen Chaos gehört bei uns immer dazu. Hitsville in glattgeleckt kann ich mir nur schwer vorstellen.

„Hitsville in glattgeleckt kann ich mir nur schwer vorstellen.“

Ralf Brendgens

Welche Düsseldorfer Musiker*innen gehen bei Euch einkaufen?

Marc: Das sind sicher auch einige Bekannte dabei, und wir freuen uns über jede*n, wobei hier das Credo gilt, dass Prominenz auch entspannt einkaufen kann.

Ralf: Bei uns kaufen die Broilers oder Toten Hosen. Bands wie die Beatsteaks oder Die Ärzte waren auch schon da. Acts aus der Electronic-Ecke gehören zu unseren Stammkunden: Kreidler, Stefan Schneider, Tolouse Low Trax usw. Selbst Udo Lindenberg war schon zum Stöbern im Laden. Und Angelo Kelly kommt immer rein, wenn er in der Stadt ist, und er hat einen ausgezeichneten Musikgeschmack. Er hat sich bei mir auch schon mal eine Single von den Undertones gekauft, und er steht auf Blue-Note-Jazz.

Einen Plattenläden in einer Pandemie zu führen – wie schwierig ist das?

Ralf: Erstmal genauso schwierig wie für andere Einzelhändler momentan auch… Leider habe ich bis jetzt keinen Online-Shop. So bleibt mir nur die Möglichkeit, ein paar News auf Facebook zu posten. Meine Kunden können sich die Scheiben an der Tür abholen oder den Lieferdienst in Anspruch nehmen.

Marc: Eine Schließung ist immer eine Katastrophe. Wir haben beim ersten Lockdown kurzerhand einen Bestell-, Abhol- und Lieferservice installiert. Das wird auch genutzt, aber generiert natürlich nur einen Bruchteil des normalen Umsatzes. Es ist definitiv keine gute Zeit für den stationären Handel.

Wie reagieren Eure Stammkund*innen?

Marc: Toll, und das hat uns auch über die Monate motiviert, hier durchzuhalten und unseren Service zu erweitern. Wir haben ein großartiges Publikum. Danke dafür.

Ralf: Ich spüre großen Support und echte Solidarität und bin dankbar dafür.

Wie habt Ihr versucht, durch die vergangenen Monate zu kommen?

Marc: Solange wir das Geschäft öffnen durften, sind wir eigentlich ganz gut über die Runden gekommen. Wir hatten zwar deutlich weniger Frequenz, keine Touristen und Messegäste, aber unsere Stamm- und Neukunden haben dies weitestgehend kompensiert. Musik, Literatur und Film waren sicher auch für viele Menschen Seelentröster und probate Mittel gegen Langeweile.

Ralf: Solange der Laden auf war, kamen auch Leute. Das Ganze gemixt mit gesundem Optimismus und ein bisschen Gemüse zur Abendstunde hat einen durch die Monate gebracht. Der Cut eine Woche vor Weihnachten war allerdings der Gau schlechthin und lässt einen wieder von vorn anfangen, da die Reserven bald aufgebraucht sind. Anyway, Kopf hoch, auch wenn der Hals schmutzig ist!

Wie kann man Euch aktuell am besten unterstützen?

Ralf: Anfragen aller Art gern per E-Mail oder Telefon. Ich selbst bin Montag bis Samstag von 12 bis 15 Uhr im Laden anzutreffen, manchmal schon vorher, manchmal länger.

Marc: Vorbeischauen, sofern das Geschäft geöffnet hat oder bestellen, solange es die bestehenden Beschränkungen gibt. Natürlich versenden wir auch nach wie vor. Sofern es speziell um Musik geht, unterstützt man nicht nur das lokale Geschäft, sondern auch die Musiker, die es durch den Wegfall der Konzerte noch härter getroffen hat.

Welche Rolle spielen Düsseldorfer Künstler*innen bei Euch im Sortiment?

Ralf: Eine ganz große Rolle! Nicht unbedingt vom Umsatz her, aber vom Herzen. Jeder kann vorbeikommen und sein Produkt in Kommission geben, ausgenommen: rechte Hetzer.

Marc: Das ist essentiell für uns. Sowohl die etablierten Künstler, die ja auch für den Standort Düsseldorf eine Strahlkraft haben, als auch Nachwuchsbands, die hier Ihre ersten  produzierten CDs oder Vinyls in Kommission verkaufen. Wir versuchen jedes Genre bestmöglich zu pflegen und ein wenig zu promoten.

„Es gibt eine Tradition von Düsseldorf als Künstler- und Musikstadt.“

Marc Meyer

Was ist für Euch eine typische Düsseldorfer Platte?

Ralf: Bisschen Punk, bisschen Art, bisschen Kraut? Gerne eckig und doch tanzbar…
Marc: Es gibt sicherlich zwei starke Strömungen. Da ist zum einen die elektronische Musik mit Kraftwerk, Conrad Schnitzler/Kluster, NEU! und La Düsseldorf als Ursprung, die sich dann weiterentwickelt hat mit Bands wie Kreidler, Mouse on Mars, Projekten von Stefan Schneider und Stefan Schwander, die Wilde Jagd oder Stabil Elite im Umfeld des Salons. Die andere ist Punk-Rock und New Wave mit dem Ratinger Hof als Keimzelle und Bands wie den Hosen, Male, Fehlfarben Östro, DAF, Der Plan, Nichts, Die Krupps, Propaganda usw. als Protagonisten und neueren Bands wie den Broilers, Massendefekt oder den grandiosen Joseph Boys.

Warum konnte sowas wie Kraftwerk, DAF oder Propaganda in Düsseldorf entstehen?

Ralf: Ganz einfach: weil die jeweils zur rechten Zeit am rechten Ort mit den richtigen Ideen waren! Dazu gehören natürlich Freiräume wo man/frau sich entfalten kann, genau das fehlt heute, nur so kann doch Energie entstehen!
Marc: Weil es eine Tradition von Düsseldorf als Künstler- und Musikstadt gibt. Institutionen wie  die Kunsthochschule oder Robert-Schumann-Musikhochschule auch geographisch eng verbunden sind mit der Altstadt und ihren Kneipen, und damit der Ausgeh, Feier- und Live-Musik-Kultur.

Wer aus Düsseldorf hätte auch eine große Karriere verdient gehabt?

Marc: Wolfgang Riechmann. Das einzige Solo-Album „Wunderbar“ wurde 1978 posthum veröffentlicht  weil er von zwei besoffenen Idioten in der Altstadt erstochen wurde.

Ralf: Habe mir letztens noch das P-Whips-Album mal wieder angehört, prima! Die NEU!-LPs gehen auch noch immer. Die hatten ja eigentlich auch ihre Karriere, wenn auch später.

Ist der Salon des Amateurs der legitime Nachfolger des Ratinger Hofs?

Marc: Jein, das kann man nicht wirklich miteinander vergleichen. In der Bedeutung für das jeweilige musikalische Genre als Treffpunkt, Sozialisation und Initiation vielleicht. In der Wirkung eher nicht, aber wer weiß, wie das in zwanzig Jahren beurteilt wird.

Ralf: Nachfolger des Ratinger Hofs – das kann man eigentlich so nicht sagen. Andere Zeiten, andere Sitten! Der Salon ist jedenfalls offener, als manche das wahrhaben wollen – eine Spielwiese für große und kleine kreative Kinder. Den Sound kann man an manchen Abenden ruhig mit dem Hof vergleichen, nicht immer einfach.

Von welchem Düsseldorfer Newcomer werden wir in Zukunft noch mehr hören?

Ralf: Auf dem Düsseldorfer Label Unique Records gibt es eine Reihe junger, guter Acts, watch out!

Marc: Was ist die Definition von Newcomer? Bei den Joseph Boys und Love Machine sprechen wir vom mittlerweile vierten Album. Auch die Wilde Jagd hat bereits drei Alben veröffentlicht. Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden.

Wie gehen die lokalen Musiker*innen mit der aktuellen Situation um?

Marc: Das ist verdammt hart. Eigentlich können Bands ja bestenfalls gemeinsam proben. Aktuell kann man sich dafür ja nur in gemeinsame Quarantäne begeben, wenn man aus mehr als zwei unterschiedlichen Haushalten kommt, oder man hat einen ziemlich großen Proberaum. 

Ralf: Natürlich ist es hart für die Bands, aber es wird schon weitergehen. Froh sein können diejenigen, die außer dem Proberaum keine laufenden Kosten haben.

Bestverkaufte Düsseldorfer Platte aller Zeiten bei Euch?

Ralf: Diverse Kraftwerk-Platten natürlich, die „NEU! 1“,  die „Monarchie & Alltag“ von Fehlfarben, aber auch die letzte Joseph Boys ist schon eindrucksvoll verkauft worden.

Marc: Kann eine Hosen-Platte sein oder von Kraftwerk „Autobahn“ oder „Mensch Maschine“. Vielleicht auch Fehlfarbens „Monarchie & Alltag“. Die hat es auf jeden Fall verdient.

Welche zehn Songs aus Düsseldorf würdet Ihr auf ein Best-of-Mixtape packen?

Ralf:

  • DAF – Verschwende deine Jugend
  • FAMILY 5 – Japaner in Düsseldorf
  • NEU! – Super
  • STUNDE-X – Hey Du!
  • MITTAGSPAUSE – Innenstadtfront
  • KRAFTWERK – Kometenmelodie
  • DIE TOTEN HOSEN – Opel Gang
  • FEHLFARBEN – Ein Jahr
  • ZK – Putzfrauensong
  • LIASONS DANGEREUSES – Los ninos del parque

Marc:

  • WOLFGANG RIECHMANN – Wunderbar
  • FEHLFARBEN – Paul ist tot
  • DIE TOTEN HOSEN – Liebesspieler
  • KRAFTWERK – Die Roboter
  • LA DÜSSELDORF – Düsseldorf
  • DAF – Der Mussolini
  • NEU! – Hallogallo
  • KREIDLER – Zero
  • LIAISONS DANGEREUSES – Los ninos del parque
  • STABIL ELITE – Alles wird gut
  • DIE WILDE JAGD – 2000 Elefanten

Welche aktiven Bands aus D-dorf legt Ihr Euren Kund*innen besonders ans Herz? Nehmen wir mal die Etablierten wie die Broilers, Antilopen Gang, Hauschka oder Kreidler aus…

Ralf: Love Machine, Joseph Boys, Oiro, Vibravoid, AI, Sniffing Glue…

Marc: Love Machine, Joseph Boys, Neumatic Parlo, Baal & Mortimer, Die Wilde Jagd, Stabil Elite. Gerne Veröffentlichungen von den Labels Unique, Hauch Records & Krachladen oder JazzSick. Es gibt sehr viel Gutes aus den unterschiedlichsten musikalischen Genres.


Hitsville: www.hitsville.de

A&O Medien: www.aundo-medien.de

In Düsseldorf ist immer wieder einflussreiche und erfolgreiche Popmusik entstanden. Alles über „The Sound of Düsseldorf“ gibt es hier.

Fotos: privat

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