Nachruf: Was Florian Schneider für Düsseldorf bedeutet

von Sven-André Dreyer

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„Musik-Visionär“ aus Düsseldorf

Unser Guide der Tour „The Sound of Düsseldorf“ erinnert sich an Florian Schneider von Kraftwerk

Zum ersten Mal begegnete ich Florian Schneider auf einer Kassette. Die hatte mir mein Onkel aufgenommen und sich dabei ordentlich Mühe gegeben, hatte er doch das Originalcover, damals noch nicht farbig fotokopiert und mühsam verkleinert. Es war die Platte „Kraftwerk“ aus dem Jahr 1970 und ganz besonders das Stück „Vom Himmel hoch“ gefiel mir als Kind besonders gut. Man hört, aufgenommen vom legendären Produzenten Conny Plank, zunächst mächtig verhallte Geräusche und einen kaum einzuordnenden Klangteppich akustischer und nur zum Teil elektrischer Instrumente, der sich im Verlauf des insgesamt 10 Minuten und 12 Sekunden langen Stückes zu einem wahren Inferno entwickelt.

Akustisch werden dort, so vermutete ich als Kind, Fliegerangriffe simuliert, die sich schließlich zu einem treibenden Rhythmus entwickeln, der später im Stück mächtig Dampf macht und passabel tanzbar ist. Der mit der Kassette beschenkte Neffe war sieben Jahre alt, und damit eigentlich viel zu jung, um zu verstehen, was er da in Händen hielt. Es war nicht allein der Humor, der diesem frühen Stück der Band zu Grunde liegt. Es war die legendäre Platte selbst, die den orange-weiß gestreiften Verkehrspylon, das Erkennungszeichen der Gruppe Kraftwerk schlechthin, auf dem Cover trägt. Klappt man das Doppelcover auf, so sieht man dort eine Schwarzweißfotografie eines Transformators, der seine elektrische Spannung in die Kupferleitungen pumpt. Die Fotografie ist von Bernd und Hilla Becher und verdeutlicht bereits im Jahr 1970, wie intensiv der Austausch der bildenden Kunst im Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie und der neuen Musikszene aus Düsseldorf war.

Und betrachtet man heute, 50 Jahre später, das kleine, ebenfalls im Inneren des Covers abgedruckte Foto von Florian Schneider-Esleben, so staunt man einmal mehr: Schneider spielt auf dem Foto Querflöte und sollte das Instrument, das er in den 1960er Jahren am Robert-Schumann-Konservatorium seiner Heimatstadt studiert hatte, doch nur wenige Jahre später für immer zur Seite legen, um aufzubrechen in neue Klangwelten und dabei einer der weltweit einflussreichsten Elektronikmusiker zu werden.

Florian Schneider wächst als Sohn des Architekten Paul Schneider-Esleben auf. Der baute nicht nur den Köln-Bonner Flughafen, sondern schuf auch in seiner Heimatstadt wegweisende Architektur. Etwa das Mannesmann-Hochhaus am Düsseldorfer Mannesmann-Ufer. Knapp 90 Meter hoch und mittlerweile unter Denkmalschutz gestellt, lieferte der Bauherr einst selbst zum Teil das Material für den Bau des bereits 1958 fertiggestellten Hochhauses. Und schon mit dem Entwurf der gläsernen Haniel-Garage an der Schlüterstraße, fertiggestellt im Jahr 1953 und das erste Parkhaus und Motel Deutschlands nach dem Krieg, hatte der renommierte Architekt die deutsche Tradition der klassischen Moderne weiterentwickelt und internationalen Ruhm erlangt. Ein familiäres Umfeld, das Schneider nachhaltig beeinflussen sollte, stand seine Familie doch stets auch in Kontakt mit den führenden, international bekannten Künstlerinnen und Künstlern der Zeit.

Gemeinsam mit seinem Studienfreund Ralf Hütter machte sich Schneider schließlich auf, die bis dahin entstandene Musik umzustürzen und völlig neu zu denken. Immer elektronischer wurden die Folgeplatten, Autobahn, Radio-Aktivität, Trans Europa Express, immer kühler die  Ästhetik. Avantgarde aus Düsseldorf. Und auch die Musiker nahmen – was ihr Aussehen betrifft – eine deutliche Wandlung. Trugen Sie auf den frühen Fotos die Haare noch lang, so sahen sie bereits Mitte der 1970er Jahre eher aus wie Beamte und brachen spätestens zu diesem Zeitpunkt endgültig mit der musikalischen Tradition und dem akustischen Diktat aus Großbritannien und Übersee.

Nicht allein ihre Texte waren in deutscher Sprache eingesungen, das gesamte Auftreten der fortan immer schweigsamer werdenden Band mutete an wie aus der Zeit gefallen, die Musiker wie dennoch extrem progressive deutsche Ingenieure. Der Mut zum klanglichen Experiment, der immer größer werdende Fuhrpark elektronischer, zum größten Teil selbstgebauter Instrumente, der visionäre Ansatz, Musik nicht allein akustisch, sondern als komplexes Konzept zu inszenieren, und nicht zuletzt auch die konzentrierte Kreativität der Musiker Schneider und Hütter machten die Band schließlich bis heute zu einem Gesamtkunstwerk.

Ihr musikalischer Minimalismus  wurde zum Schema und war auf lange Sicht äußerst prägend, beeinflussten sie doch mit ihrem Stil ganze Musikergenerationen. So wurden ihre Rhythmen etwa in der New Yorker Hip-Hop-Szene erstmals gesampelt, auch für den Early-Techno, der ab Mitte der Achtzigerjahre in Detroit entstand, war die Band Kraftwerk eine wesentliche Inspiration. Das erklärte Ziel Kraftwerks lautete spätestens mit Erscheinen des 1978er Albums „Die Menschmaschine“, ihre Musik nicht nur streng und formal zu deklinieren, vor allem die Entsubjektivierung ihres Werkes wurde den Musikern zunehmend wichtig.

Dazu gehörte auch, die eigentlich recht passable Singstimme Hütters mit immer komplexeren, vocodisierten Stimmpassagen zu unterfüttern und umweben. Insbesondere Schneider war es, der fieberhaft daran arbeitete – mit elektronischen Mitteln und später computergestützt – die menschliche Stimme zu entmenschlichen und die Grenzen zwischen Mensch und Maschine neu auszuloten. Und dennoch: Florian Schneider blieb seiner Heimatstadt Düsseldorf als leibhaftige Person stets treu. Nicht nur aufgrund des bereits Ende der 1960er Jahre an der Mintropstraße, und damit inmitten des Rotlichtbezirks eingerichteten KlingKlang-Studios, in dem die Musiker bis in die späten 1990er Jahre hinter verschlossenen Türen und in der Nähe des Hauptbahnhofes arbeiteten.

Hier in Düsseldorf empfing Schneider auch seine internationalen Gäste – etwa David Bowie und Iggy Pop, die nach eigener Aussage maßgeblich durch den Sound vom Rhein inspiriert wurden. Von hier aus entsandte die Band um Florian Schneider bis in die jüngste Zeit schließlich auch ihre einflussreichen und wegweisenden Signale in die musikalische Welt.

Spielen wir heute auf unserer musikalischen Stadtführung „The Sound of Düsseldorf“ ihr Stück „Das Modell“ an der Düsseldorfer Königsallee, so bleiben auch die internationalen Gäste stehen und lauschen dem zeitlosen elektronischen Pop made in Düsseldorf.

Das Besondere: So scheu Florian Schneider mitunter erschien, so präsent war er dennoch im Düsseldorfer Stadtbild. Man traf ihn mittags am Carlsplatz auf eine Erbsensuppe oder auf einen Espresso im Caffè Enuma an der Suitbertusstraße in Bilk. Und manchmal verschenkte Florian Schneider bei einer dieser kurzen Begegnungen sogar ein Lächeln. Man nickte sich anschließend stumm zu und ging erneut getrennter Wege. Stets in der Gewissheit, sich bald einmal wiederzusehen. Wenige Tage nach seinem 73. Geburtstag am 7. April 2020 verstarb Florian Schneider an den Folgen einer kurzen Krebserkrankung.

Fotos: Markus Luigs

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